1. Professionelles Selbstverständnis
Das Ziel der entwicklungssensiblen Sexualpädagogik und ihrer sexualpädagogisch Handelnden ist, den Menschen bei der Integration seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit zu begleiten. Diese Aufgabe wird durch die Achtung folgender Grundsätze realisiert:
1.1 Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen ESSP ® (Sex.päd. ESSP®) achten die Gesetze des Landes, in dem sie tätig sind. Vor allem werden all die Gesetze beachtet, die sich auf die Sexualaufklärung, Sexualerziehung, Gesundheitserziehung, und auf die Verhinderung sexueller Gewalt beziehen, wie auf die freie Entfaltung der Person, wozu unbedingt auch das Selbstbestimmungsrecht im Bereich von Sexualität und Geschlechtlichkeit gehört.
1.2 Sex.päd. ESSP ® achten insbesondere auf das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder (Artikel 6 GG; § 1 SGB VIII) sowie auf die Pflicht zur Information der Eltern über den Inhalt sexualpädagogischer Angebote.
1.3 Sex.päd. ESSP ® realisieren die Achtung vor der Würde des Menschen insbesondere durch die Einhaltung folgender Prinzipien:
- Jeder Mensch hat das Recht, seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit selbst vorzustehen: Sex.päd. ESSP ® , die Menschen bei der Integration ihrer Sexualität und Geschlechtlichkeit begleiten, wahren durch ihr pädagogisches Handeln das Recht jeder Person, ihre Sexualität im Kontext ihrer biologischen, psychologischen Strebungen zu verstehen und diese in selbstbestimmter und in kritischer Auseinandersetzung im Kontext von Kultur, ethischen Überzeugungen und Weltanschauungen zu verorten.
- Entdiskriminierende Haltung: Sexualität kann sich in vielfältigen Formen zeigen. Jeder Form von Diskriminierung und Herabwürdigung sexueller und geschlechtlicher Selbstverwirklichung wird daher entschieden entgegengewirkt. Jeder Mensch hat das Recht, seine Sexualität und Geschlechtlichkeit selbstbestimmt zu entfalten. Dabei respektieren Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen immer die Wertvorstellungen, die kulturelle Verwurzelung oder die sexuelle Orientierung eines Menschen.
- Orientierung an der emotionalen und kognitiven Entwicklung eines Menschen: Sex.päd. ESSP ® achten bei der Vermittlung von Inhalten auf die kognitive und emotionale Entwicklung des jungen Menschen und halten so Beschämungen und Verwirrungen von ihm fern. Das entwicklungssensible Handeln basiert immer auf begründetem entwicklungspsychologischem Wissen und darf niemals der persönlichen Einstellung oder Werthaltung des sexualpädagogisch Handelnden folgen.
- Schutz der Intimsphäre und der Innerlichkeit einer Person: Da es sich bei den Themen der Sexualität und Geschlechtlichkeit um das Innerste einer Person handelt, wissen Sex.päd. ESSP ihr Handeln an der Verantwortung für die Lebenssituation, die Innerlichkeit, die Schamgrenze und die persönlichen Ziele und Lebensperspektiven einer Person auszurichten.
- Schutz der Freiwilligkeit: Bei der Realisation von sexualpädagogischer Methodik und Praxis achten Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen die Freiwilligkeit. Daher wirken sie Gruppendruck oder selbst auferlegtem Druck bei Menschen, mit denen sie arbeiten, entgegen.
- Enthaltung von jeder Form der Indoktrination: Um die freie Entfaltung der Person und seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit zu wahren, enthalten sich die sexualpädagogisch Handelnden jeder Indoktrination. Daher sichern sie ihre Inhalte nur auf wissenschaftlich gestützte Auffassungen von Sexualität und Geschlechtlichkeit und unterscheiden zwischen empirisch gesichertem Wissen, bloßen Hypothesen und alltagspsychologischen Meinungen. Ebenso machen sie ethische und weltanschauliche Auffassung von Sexualität und Geschlechtlichkeit differenziert transparent.
- Schutz vor sexueller Gewalt: Insbesondere setzen sich Sex.päd. ESSP ® durch ihr Handeln für den Schutz vor sexueller Gewalt aller Art ein. Daher fördert ihr pädagogisches Handeln in jeder Person die Herausbildung eines selbstbestimmten und selbstbehauptenden Umgangs mit ihrer Sexualität und Geschlechtlichkeit.
- Oberstes Prinzip ist die Verhinderung jeden Schadens: Oberstes Prinzip des Handelns ist, dass jegliche Form von Schaden von den Menschen abgehalten wird, mit denen im pädagogischen Handlungsfeld umgegangen wird.
1.4 Sex.päd. ESSP ® achten in der sexualpädagogischen Praxis auf die Spannung zwischen Inhalt, Wissen und individueller Entwicklungsherausforderung, in der Menschen stehen. Sexualpädagogisch Handelnde sind sich daher bewusst, dass durch die Inhalte aus dem Bereich von Geschlechtlichkeit und Sexualität immer auch Privates berührt wird. Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen achten daher auf die Grenze an der sich die Vermittlung von Wissen, von Fragen der Lebensbegleitung scheidet. Sie markieren diese Grenze bewusst und übertreten sie nur im Kontext eines klar definierten Auftrags, den ein um Rat suchender Mensch explizit und selbstbewusst bestimmt.
1.5 Da Sex.Päd. ESSP ® mit der Spannung von Inhalt und individueller Entwicklungsaufgabe im Bereich ihrer Profession umgehen müssen, reflektieren sie im Rahmen von fachlicher Anleitung, Supervision oder kollegialer Intervision regelmäßig ihre eigenen Einstellungen, aber auch ihr sexuelles und geschlechtliches Gewordensein. Zur Erhöhung ihrer professionellen Haltung nehmen sie regelmäßig an Fortbildungen, Selbsterfahrung und Supervision teil.
1.6 Sex.päd. ESSP ® sind der Verschwiegenheit verpflichtet und nutzen entgegengebrachtes Vertrauen in keiner Hinsicht aus. Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen halten sich an die Datenschutzrichtlinien ihres Landes und wahren die vom Gesetz vorgeschriebene Verschwiegenheit. Was sexualpädagogisch Handelnden im Rahmen ihrer Tätigkeit anvertraut wurde, beeinflusst in keiner Weise die Beziehung zu dem Menschen, der sich ihnen anvertraut hat.
2. Fachliches Selbstverständnis
2.1 Entsprechend des professionellen Selbstverständnisses (vgl. 1) vertreten Sex.päd. ESSP® ein Menschenbild, das Sexualität und Geschlechtlichkeit der freien Entfaltung der Person zurechnet. Ihr fachliches Selbstverständnis orientiert sich daher am Ziel, Menschen die selbstbestimmte und selbstverantwortete Entfaltung ihrer Sexualität und ihrer Geschlechtlichkeit zu ermöglichen. Daher schaffen sie durch ihr pädagogisches Handeln einen Raum, in dem sich der Mensch in dieser Weise allgemein mit Sexualität und Geschlechtlichkeit auseinandersetzen kann und speziell zu ihrer reflexiven Selbstaneignung befähigt.
2.2 Durch die wissenschaftlich begründete entwicklungssensible Ausrichtung der Sexualpädagogik wissen Sex.päd. ESSP®, dass die Menschen in den verschiedenen Lebensaltern ihrer Sexualität und Geschlechtlichkeit unterschiedliche Erfahrungen und Bedeutungen zumessen. In der didaktisch-methodischen Gestaltung ihres sexualpädagogischen Handelns gehen sie von diesen altersentsprechenden Erfahrungen und Bedeutungen aus und holen den Menschen dort ab, wo er im Bezug auf seine Entwicklung steht.
2.3 Da sich menschliche Sexualität ihrem Wesen nach immer zugleich auf biologischer, psychologischer, soziologischer und ethischer Ebene zeigt, arbeiten Sex.päd. ESSP® immer transdisziplinär. Dabei stellen sie dem Menschen solche wissenschaftlich gesicherten Informationen zur Verfügung, die in ihm das Verstehen dieser unterschiedlichen Ebenen erhöhen. Da es unterschiedliche Theoriekonzepte zur menschlichen Sexualität und Geschlechtlichkeit gibt, übergeben Sex.päd. ESSP® diese ohne Wertung. Dabei lassen sie sich von ihrem professionellen Selbstverständnis mit dem Ziel leiten, dass der Mensch seine Sexualität und Geschlechtlichkeit selbstverantwortet und selbstbehauptet gestaltet.
2.4 Sex.päd. ESSP® orientieren sich in ihrem fachlichen Handeln an den Grundsätzen der Salutogenese. Diese, bezogen auf sexualpädagogischen Inhalt, sagt, dass dem Menschen die Selbstgestaltung von Lebensthemen und Entwicklungsherausforderungen dann gelingt, wenn er ihnen gegenüber ein eigenes Verstehen, eigene Bedeutungen und eigene Handlungsmöglichkeiten entwickeln kann. Daher fördern Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen den Sense of Coherence in Bezug auf Sexualität und Geschlechtlichkeit im Menschen.
2.5 Sex.päd. ESSP® arbeiten in Orientierung an der Salutogenese präventiv. Denn dort, wo der Mensch sich selbst versteht, seinem Handeln selbst Bedeutung zumisst, und seine Handlungsmöglichkeiten entsprechend dieser eigenen Entscheidungen gestaltet, entwickelt er Kompetenzen, die seinen Selbstschutz erhöhen. Er erwirbt dadurch die Kompetenz, sich vor sexueller Gewalt zu schützen, aber auch vor gesundheitlicher Schädigung, vor ungewollter Schwangerschaft, vor Sucht, vor Beziehungsabbrüchen, etc.
2.6 Sex.päd. ESSP®, die im Rahmen von Institutionen und sozialen Systemen arbeiten, setzen sich anwaltschaftlich für den Schutz von Kindern, Jugendlichen und auch erwachsenen Menschen ein. Dabei helfen sie, ein Klima zu schaffen, dass Menschen hilft, ihre Sexualität und Geschlechtlichkeit entsprechend der hier genannten Grundsätze zu integrieren.
2.7 Sex.päd. ESSP® sind sich ihrer Rolle bewusst. Sie wissen, dass sich der von ihnen vermittelte Inhalt im Menschen immer auf Wissen und Lebensfragen bezieht. Sie wissen auch, dass sie von Menschen im Bereich der Sexualpädagogik immer als Wissensvermittler und Träger einer bestimmten Art und Weise wahrgenommen werden. Um innerhalb dieser Rolle eine professionelle Haltung zu entwickeln, verpflichten sich die im Rahmen der ESSP® Handelnden zu regelmäßiger Selbstreflexion, Selbsterfahrung, Supervision und fachbezogener Fortbildung.
2.8 Sex.päd. ESSP®, die keinem, im Rahmen eines institutionellen Kontextes, geregelten sexualpädagogischen Auftrag nachgehen, klären mit Auftraggebern den Rahmen und den Inhalt einer Auftragserteilung ab. Sie enthalten sich aller Maßnahmen und Interventionen, die nicht in Übereinstimmung mit ihrem Auftrag stehen. Allerdings gehen Sex.päd. ESSP® auch keine Aufträge ein, bei denen die freie Entfaltung der Person in irgendeiner Weise eingeschränkt wird. - Sex.päd. ESSP® gehen keinen sexualpädagogischen Vertrag ein, wenn andere Aktivitäten oder Beziehungen zwischen ihnen und den Menschen, mit denen sie arbeiten, diesen Vertrag in ethischer Hinsicht gefährden.
2.9 Sex.päd. ESSP® achten bei der Erfüllung ihres Auftrags auf die umfassende Sicherheit der Menschen, mit denen sie arbeiten. Dies umfasst Vereinbarungen über die zu wahrende Vertraulichkeit, die zu treffenden Vorkehrungen und Regelungen zum Schutz von Menschen im pädagogischen Handlungsfeld, die didaktisch-methodische Vorbereitung und Durchführung, sowie die informierte Zustimmung - informed consent - bei der Aushandlung des Arbeitskontraktes.
2.10 Sex.päd. ESSP® enthalten sich Fachkolleginnen und -kollegen gegenüber jeder geringschätzigen Äußerung oder Anspielung, die das Ansehen, die Qualifikation oder die Persönlichkeit betreffen. Auch gegenüber Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen anderer sexualpädagogischen Schulen gegenüber wahren Sex.päd. ESSP® diese Haltung. Dort, wo es zu Meinungsverschiedenheiten im fachlichen Bereich kommen sollte, suchen sie den wissenschaftlich fundierten Diskurs und das Gespräch.
2.11 Sex.päd. ESSP® sprechen Kolleginnen und Kollegen, von denen sie glauben, dass sie sich in einer ethisch nicht vertretbaren Art und Weise verhalten, an. Sollten sich schwerwiegende ethische Konflikte nicht auf der kollegialen Ebene klären lassen, so melden sie dies dem Ethikrat des Instituts für entwicklungssensible Sexualpädagogik ESSP®.
3. Weiterentwicklung der sexualpädagogischen Profession
3.1 Sex.päd. ESSP® kann sich nur nennen wer am Hochschullehrgang Entwicklungssensible Sexualpädagogik ESSP® teilgenommen und dort alle Module mit Prüfung abgeschlossen und auf diesem Weg ein qualifiziertes Zeugnis erworben hat. Das Recht, sich Sexualpädagogin oder Sexualpädagoge ESSP® zu nennen, muss zudem durch den Nachweis von Supervision und sexualpädagogischer Fortbildung alle 5 Jahre erneuert werden. Ansonsten erlischt das Recht zur Führung des Zusatzes „ESSP®“.
3.2 Sex.päd. ESSP® arbeiten innerhalb des ESSP® Verbandes mit an der Evaluation, Weiterentwicklung und Professionalisierung der entwicklungssensiblen Sexualpädagogik.
3.3 Sex.päd. ESSP® kooperieren mit anderen Trägern sexualpädagogischer Arbeit und nehmen so am sexualpädagogischen Diskurs teil.
3.4 Sex.päd. ESSP® engagieren sich für berufsständische Interessen, für die Errichtung von Qualitätsstandards im Rahmen von Sexualpädagogik und für die Entwicklung der Sexualpädagogik als Profession.