Alles einmal konzentriert!
Liebe und Sexualität ist im Menschen mit dem Streben nach Glück verbunden. Liebe und Sexualität ist aber auch ein Geheimnis. Denn sowohl die Liebe wie die Sexualität bestimmen meine Gegenwart und Zukunft. Die Entscheidung, wie ich meine eigene Sexualität gestalte, ist daher immer eine, die nur ich als Person treffen kann. Deshalb basiert die entwicklungssensible Sexualpädagogik auf der Anthropologie der Person und hat die unbedingte "Würde des Menschen" im Blick.
Vor diesem Hintergrund ist Sexualpädagogik eine herausfordernde Aufgabe, in der es nicht nur um Aufklärung geht, sondern um die sensible Begleitung von Menschen und die Förderung eines personalen Selbstverhältnisses zu Fragen eigener Geschlechtlichkeit und Sexualität.
Die entwicklungssensible Sexualpädagogik ESSP® will Menschen ansprechen, die Freude haben, den Menschen als Person bei der herausfordernden Integration von Liebe und Sexualität zu begleiten. Eine Aufgabe, die neben theoretischer und praktischer Kenntnisse Selbstreflexion im Bereich eigener Geschlechtlichkeit und Sexualität erfordert.
Der Ansatz hat seine Basis in einer Anthropologie der Person, die zwar im christlichen Menschenbild ihren Ausgang genommen hat, aber im Konzept der „Würde der Person“ für alle Menschen Relevanz gewonnen hat. Theoretisch wird innerhalb dieser Form der Sexualpädagogik die Sexualität und Geschlechtlichkeit des Menschen aus dem Blickwinkel von Philosophie, Theologie, Psychologie, Soziologie und Sexualwissenschaft beleuchtet.
Alles aber führt zu einer Praxis einer personalistischen und entwicklungssensiblen Sexualpädagogik. In ihrer Mitte steht die Frage, wie man Menschen mit ihren Fragen von Sexualität und Geschlecht im Kontext ihres Lebensalters abholen und das Verstehen und die Integration eigener Sexualität mit dem Ziel der Selbstverantwortung fördern kann.
In einer pluralen Gesellschaft mit einem Überangebot an Unterschiedlichen Liebes- und Sexualitätsstilen nimmt die entwicklungssensible Sexualpädagogik den Menschen als Person ernst. Sie erinnert ihn, dass nicht die Gesellschaft Gestalter von Sexualität und Geschlechtlichkeit ist, sondern dies ein Bestandteil personaler Selbstverantwortung ist. - Im Nachfolgenden wird die Arbeitsweise der ESSP® entlang einiger Leitprinzipien eingeführt werden.
1. Entwicklungssensible Sexualpädagogik geht vom Erleben des jungen Menschen aus
Die entwicklungssensible Sexualpädagogik entstand aus der Erfahrung der Begleitung von jungen Menschen im Rahmen sexualpädagogischer Beratung. Dort zeigte sich, dass junge Menschen den Umgang, die Annahme und die Integration ihrer Geschlechtlichkeit und Sexualität als große Aufgabe verstehen. Es handelt sich um eine Entwicklungsaufgabe, die in der Kindheit beginnt und die den Jugendlichen spätestens ab der Pubertät vor viele Fragen stellt. Eine der ersten Fragen tritt ihm durch seinen Körper entgegen, der sich mit Eintritt der Pubertät Tag für Tag verändert. Andere Fragen kommen in der Peer Group auf, wenn über erste Liebe, Attraktivität oder das Frau- oder Mannsein verhandelt wird. Aber auch Familie, gesellschaftliche Institutionen und Medien mischen sich ein. Sie machen Vorgaben, wie Sexualität und Geschlechtlichkeit heute zu leben ist. Viele dieser Vorgaben beanspruchen, die Wahrheit über Liebe und Sexualität zu wissen, sind aber auch verwirrend, weil sie verschiedenste Formen der Lebensverwirklichung transportieren. Und so sieht sich der junge Mensch Heute mehr als Gestern vielen Fragen gegenüber: Wie soll ich meine Sexualität leben? Was ist das eigentlich, meine Sexualität? Was ist meine Orientierung? Wie ist das mit meinem Geschlecht? Darf ich es in Besitz nehmen oder muss ich es in Frage stellen? Wie darf ich Liebe verwirklichen? Wann in meinem Leben muss ich Sexualität praktizieren?
2. Entwicklungssensible Sexualpädagogik sieht das "Heute" und "Morgen"
Die entwicklungssensible Sexualpädagogik bleibt nicht bei den Fragen stehen, die der junge Mensch im Hier und Jetzt seiner Entwicklung stellt. Sie ist auch auf die Zukunft gerichtet und fragt, was wir aus Wissenschaft und Forschung über das Gelingen von Sexualität wissen. Denn der Mensch hat den Wunsch zu lieben und will sich durch die Liebe Heimat und Zukunft schaffen. Um junge Menschen mit der Frage des eigenen Gelingens von Sexualität und Geschlechtlichkeit in Kontakt zu bringen, muss die Sexualpädagogik wissenschaftlich begründet und kritisch hinterfragbar aufzeigen können, welche Fähigkeiten der Mensch in seinem Personsein herausbilden muss, damit er das, was er sich für seine Zukunft wünscht, erfüllen kann. Hierzu greifen wir in der Theorie auch auf wissenschaftliche Ergebnisse und Forschungen aus dem Bereich Sexualberatung und -therapie zurück. Gleichzeitig aber auch auf die Geschlechter- und Sozialisationsforschung.
3. Entwicklungssensible Sexualpädagogik fördert den Selbstumgang mit Wissen
Da sich die entwicklungssensible Sexualpädagogik dem jungen Menschen im Hier und Jetzt seiner Fragen genauso zuwendet, wie seinem zukünftigen Wunsch nach einem Gelingen von Geschlechtlichkeit und Sexualität, bleiben wir nicht bei der Aufklärung stehen. Wir verstehen unsere Form der Sexualpädagogik auch nicht als Erziehung. Denn dies würde suggerieren, dass dem Menschen eine bestimmte Haltung anerzogen werden muss. Vielmehr will die entwicklungssensible Sexualpädagogik dem jungen Menschen einen Raum eröffnen, in dem er all die Fragen und Herausforderungen, die sich ihm stellen und die von Außen an ihn herangetragen werden, auf der Grundlage von gesichertem Wissen verstehen, bearbeiten und lösen kann.
Wir vertreten den Ansatz, dass der Mensch nur im Selbstumgang mit gesichertem Wissen zu einer selbstverantworteten und selbstbestimmten Gestaltung seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit finden.
4. Entwicklungssensible Sexualpädagogik orientiert sich am Ansatz personalistischer Pädagogik
Sexualpädagogische Begleitung bedeutet daher, dem heranwachsenden Menschen zu all diesen Fragen wissenschaftlich gesicherte Informationen bereitzustellen, damit ihm eine selbständige und altersentsprechende kritische Bearbeitung möglich ist. Wir lassen uns dabei vom Ansatz der personalistischer Pädagogik leiten. In deren Mitte steht die Person, die sich selbst als Frage und Aufgabe aufgegeben ist.
Im Zuge der Verwirklichung dieses Ansatzes werden dem Menschen Inhalte zum kritischen, wissensgeleiteten Umgang übergeben. Gleichzeitig soll pädagogisch ein Raum geschaffen werden, in dem der Mensch für sich als Person über die wichtige Lebensfrage seiner Geschlechtlichkeit und Sexualität, zu selbstverantworteten Entscheidungen finden kann. Im Kern geht es uns dabei nicht um Wissensaneignung, sondern um die Förderung des personalen Selbstumgangs des Menschen mit sich selbst. Da sich der Mensch Fragen seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit immer Heute und Morgen beantworten muss, sehen wir in der Förderung und Ermöglichung des personalen Selbstumgangs unsere zentrale pädagogische Aufgabe.
Weil sexualpädagogische Begleitung ihre Mitte in der "Person" des Menschen hat, darf sie niemals ideologisch und unwissenschaftlich sein. Sie darf ihre Informationen und Bildungsziele zu den verschiedenen Themen und Kompetenzbereichen nur aus wissenschaftlich gesicherten Quellen beziehen und muss weltanschauliche Konzepte, die in der Diskussion von Sexualität und Geschlechtlichkeit eine nicht unwesentliche Rolle spielen, transparent machen.
5. Transdisziplinarität
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wendet die entwicklungssensible Sexualpädagogik das Wissenschaftsprinzip der Transdisziplinarität an. Damit geht diese Form der Sexualpädagogik davon aus, dass in menschliche Sexualität und Geschlechtlichkeit immer zugleich verschiedene Disziplinen einfließen, wie Biologie, Psychologie, Soziologie, Ethik und damit auch philosophische und theologische Konzepte. Um den personalen Selbstumgang im Bereich von Themen der Sexualität und Geschlechtlichkeit zu wahren, muss der junge Mensch die verschiedenen Einflüsse und Quellen unterscheiden können.
Transdisziplinarität bedeutet aber auch, dass Sexualpädagogik Informationen, Wissen und Fähigkeiten nicht einseitig oder selektiv vermitteln darf. Da es im Bereich der Sexualität und Geschlechtlichkeit nicht nur um Wissen, sondern auch um die Gestaltung individuellen Lebens geht, muss dem heranwachsenden Menschen eine kritische und selbstbestimmte Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich gemacht werden, denn nicht die Sexualpädagogik bestimmt über Lebensentwürfe, sondern nur der Mensch selbst.
6. Salutogenese
Nach Ansicht des Sozialmediziners und Gesundheitsforschers Aaron Antonovsky gelingt vor allem den Menschen Leben, die Lebensherausforderungen verstehen können, die Handlungsmöglichkeiten haben, um sie bewältigen zu können und die ihren Lebensentscheidungen Sinn zumessen können. Im Raum, den die entwicklungssensible Sexualpädagogik für den jungen Menschen öffnet, soll ihm genau das möglich werden.
So soll jeder heranwachsende Mensch dort wahrnehmen, dass er für sein Leben selbst verantwortlich ist. Er soll Zeit haben, um mit dem bereitgestellten Wissen seine eigene Situation im Bereich Sexualität und Geschlechtlichkeit zu verstehen. Er soll sich fragen dürfen, welchen Sinn und welche Bedeutung Sexualität und Geschlechtlichkeit für ihn haben sollen. Und er soll in Antwort auf diese eigene Entscheidung Handlungsmöglichkeiten entwickeln, um seine Sexualität und Geschlechtlichkeit zu leben.
7. Entwicklungssensibel
Damit junge Menschen mit dieser großen Aufgabe nicht überfordert sind, berücksichtigt die entwicklungssensible Sexualpädagogik deren emotionale und kognitive Entwicklung. Dabei greift sie auf wesentliche Konzepte der Entwicklungspsychologie zurück, wie die Entwicklung logischer Denkoperationen, die Mentalisierungstheorie, die Emotionsentwicklung, die Bindungsentwicklung, sowie die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Beziehungen, u.a.m. Mit der Anwendung dieser Theorien will sie sich von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus in den jungen Menschen hineindenken, um sich zu erklären, wie er in den verschiedenen Lebensaltern auf das Thema Sexualität, Liebe, Beziehung oder seine eigene Geschlechtlichkeit blickt. Sie fragt sich mit Hilfe der Theorien aber auch, welche Themen eine Überforderung darstellen oder wie man den jungen Menschen so unterstützen kann, dass ihm die Aneignung von bestimmten Inhalten oder die Diskussion über verschiedene Themen gelingen kann, ohne ihn zu verwirren.
8. Prävention
Eine Sexualpädagogik, die im jungen Menschen das Verstehen der Entwicklung der eigenen Sexualität und Geschlechtlichkeit erhöht, wirkt präventiv. Vor allem dann, wenn sie im Heranwachsenden die eigene Sprach- und Reflexionsfähigkeit in Bezug auf sein eigenes geschlechtliches und sexuelles Erleben erhöht. Präventiv wirkt dabei vor allem die Einsicht, dass nur der junge Mensch über diesen intimen Bereich seines Personseins verfügen darf. Daher werden Kinder und Jugendliche befähigt, eigene Schutzkompetenzen aufzubauen, indem sie das Verstehen ihrer eigenen Sexualität und Geschlechtlichkeit auf die Bereiche sexuelle Gewalt, Konsum von Pornografie, aber auch auf das Thema nicht gewünschter Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten anwenden.
9. Förderperspektive
Die Entwicklungssensible Sexualpädagogik versteht sich als ein förderorientierter Ansatz. Das bedeutet, dass dem Jugendlichen nicht nur empirisch gesichertes Wissen zum Thema Geschlechtlichkeit und Sexualität vermittelt wird. Vielmehr werden entlang entwicklungspsychologischer Erkenntnisse auch die Fähigkeiten (bspw. Emotionsregulation, Selbst-Objekt-Differenzierung, Mentalisierungsfähigkeit) im Heranwachsenden besonders gefördert, die er benötigt, um mit der Entwicklungsaufgabe „Geschlechtlichkeit und Sexualität“ selbstverantwortet umgehen zu können.
10. Reflektierte Professionalität
Da das oberste Ziel der entwicklungssensiblen Sexualpädagogik der freie, selbstverantwortete Umgang des jungen Menschen mit seiner Sexualität und Geschlechtlichkeit ist, wird sehr auf die Rolle des Sexualpädagogen geachtet. So hat er auf der einen Seite die Aufgabe, dem jungen Menschen wissenschaftlich begründetes Wissen über den Gegenstand zu übergeben. Er muss sich auf der anderen Seite aber auch bewusst sein, dass es sich bei der Sexualität um einen Bereich von Wissen handelt, der auch eine persönliche Seite hat. So muss sich der Sexualpädagoge nicht nur über seine eigene Sexualität und Geschlechtlichkeit im Klaren sein und um die darin enthaltenen eigenen Werte und Entscheidungen wissen. Sondern er muss die Tatsache im Blick haben, dass das Thema für den jungen Menschen sehr persönlich ist. Es braucht daher eine reflektierte Professionalität, damit in der Spannung von Wissensvermittlung und Lebensfragen immer so gehandelt wird, dass die Entscheidungsfreiheit des jungen Menschen erhöht wird. - Dies kann nur gelingen, wenn sich die Sexualpädagogen immer wieder kritisch reflektieren, etwa durch Supervision und fachliche Anleitung.